Es gibt ein Sprichwort, das uns seit Jahrhunderten begleitet:
„Alles hat seine Zeit.“
Seinen Ursprung findet es im Buch Kohelet:
„Alles hat seine Stunde, und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit.“
Im Umgang mit Pferden gewinnt dieser Satz eine ganz besondere Bedeutung. Denn wer mit Pferden arbeitet, weiß: Es braucht Geduld, innere Ruhe – und manchmal vor allem eines: die Fähigkeit, loszulassen.
Geduld im Pferdetraining – warum Druck Vertrauen zerstört
Oft drehen wir uns im Kreis, wenn wir zu sehr an einem Problem festhalten.
Ob im Alltag oder im Training:
Wer nur das Hindernis sieht, übersieht die kleinen Fortschritte und all das, was schon gelingt.
Druck erzeugt Gegendruck – oder Resignation. Beides zerstört Vertrauen.
Pferde lehren uns, den Blick zu weiten:
Vertrauen aufzubauen,
kleine Sequenzen zu nutzen,
Schritt für Schritt an ein Thema heranzuführen.
So entstehen Lösungen, getragen von Geduld, Vertrauen und gegenseitigem Respekt.
👉 Das Ziel ist nicht, ein Problem sofort zu überwinden. Sondern die Beziehung so zu stärken, dass Mensch und Pferd gemeinsam Lösungen finden.
Loslassen im Umgang mit Pferden: Kleine Schritte führen zum Ziel
Beispiel 1: Monty und der Bach
Monty war noch sehr jung, als wir bei einem unserer ersten Ausritte an einen kleinen Bach kamen. So vieles hatte schon wunderbar geklappt – doch hier stoppte er. Kein Schritt ins Wasser.
Für mich war es nur Wasser. Für Monty war es eine Grenze. Und für mich war wichtig, dies in dem Moment zu respektieren.
Also kein Druck, kein Zwingen. Stattdessen wählten wir an diesem Tag einen anderen Weg. Später tasteten wir uns Schritt für Schritt heran: ans Ufer gehen, Hufe ins Wasser platschen lassen, entspannen, wieder heraus. Bis er schließlich den Fluss überquerte.
👉 Gerade im Jungpferdetraining gilt: Ein positives Ende ist wertvoller als das schnelle Überwinden einer Aufgabe.
Dankbarkeit im Reitsport: Wie Pferde unsere innere Haltung spiegeln
Beispiel 2: Monty im Lehrgang bei Marius Schneider
Diesen Sommer durfte ich mit Monty an einem Lehrgang bei Marius Schneider teilnehmen.
Früher war Monty dort oft schneller als ich: Noch bevor ich eine Hilfe geben konnte, hatte er sie schon umgesetzt – eine Herausforderung für mich.
Doch diesmal war es anders. Mein innerer Fokus war Dankbarkeit – und Monty spürte das. Er war aufmerksam wie immer, aber er wartete. Er hörte zu, ließ mir Zeit. Für mich war das ein Geschenk: Wir waren im gleichen Rhythmus.
👉 Dankbarkeit verändert den Fokus – und Pferde spiegeln das unmittelbar.
Gewaltfreie Kommunikation mit Pferden: Beobachten statt bewerten
„Alles hat seine Zeit“ bedeutet für mich auch: Gewaltfreie Kommunikation zu leben.
Raus aus Bewertung und Reaktion, hinein in Beobachtung und Reflexion:
Was passiert gerade?
Was kann ich anders machen?
Atmen, entspannen, Körpersprache bewusst einsetzen, auf Augenhöhe sein.
Nicht tun – sondern sein.
Ein Pferd fordert uns immer wieder dazu auf, im Moment zu leben. Genau dort, im Jetzt, entsteht Vertrauen.
Pferd und Mensch im Einklang: Akademische Reitkunst nach Bent Branderup
Mit unserem Herzenspferd eine gute Zeit zu haben – ist das nicht das eigentliche Ziel?
Nicht die schnelle Lösung, nicht das perfekte Training, nicht das „Abliefern“.
Sondern: das gemeinsame Erleben, Wachsen und Wertschätzen der kleinen Schritte.
„Alles hat seine Zeit“ wird so zur Brücke zwischen Mensch und Pferd.
Ich bin dankbar, mit der Akademischen Reitkunst nach Bent Branderup einen Ansatz gefunden zu haben, der Wissen und Intuition verbindet. So entsteht eine feine Kommunikation, die auf Verständnis und ehrlicher Verbundenheit beruht – nicht auf dem bloßen Willen des Menschen.
Oder wie Monty es mir gezeigt hat:
„Gib mir etwas Zeit.
Zeig es mir, und dann frage noch einmal.
Und ich gehe mit dir – auch durch den Fluss.“
Systemisches Coaching mit Pferden: EQS-Methode als Brücke zwischen Mensch und Tier
Unterstützend erlebe ich auch die Elemente des Systemischen Coachings nach der EQS-Methode von Alexandra Lohr. Sie helfen mir, die verschiedenen „Systeme“ zwischen Mensch und Pferd bewusst zu reflektieren und zu stärken – im Training ebenso wie im Unterricht. Für mich sind sie ein wertvoller Schlüssel zu einer noch tieferen Verbindung.
Fazit: Zeit, Vertrauen und Respekt als Basis jeder Pferdebeziehung
Am Ende geht es nicht um das schnelle Ziel, sondern darum, gemeinsam zu wachsen. Pferde schenken uns dafür etwas Kostbares: den Moment. Und wenn wir diesen bewusst wahrnehmen, zeigt sich:
Alles hat seine Zeit – und die beste Zeit ist die, die wir mit unserem Pferd erleben.